Objekt der Begierde
© Sabine Ludwigs
Ihr Name lautete Rosalinda. Sie stammte aus Celano in Italien und war eine Schönheit. Ich fand ihre Formen perfekt; oben herum zierlich, ein schlanker Hals, der in leicht abfallende Schultern überging, entzückende Wirbel. Unten herum war sie üppiger gebaut. Mir gefiel das. Es waren gerade ihre Kurven, die mich um den Verstand brachten!
Wenn ich nackt neben ihr im Bett lag, ihren dunklen Leib liebkoste, meine Sehnsucht stillte und ihren leisen Tönen lauschte, während ich gleichzeitig wie verzaubert auf die Lichtreflexe schaute, welche die Kerzenflammen auf ihren Köper zauberten, dann wusste ich, dass ich Rosalinda aus tiefstem Herzen liebte.
Ich fühlte mich zufrieden, wenn sie bei mir in der Küche war und ich am Frühstückstisch saß, meinen Kaffee trank und dabei die Zeitung las. Wie herrlich, wenn ich abends von der Arbeit heimkehrte und mit ihr beim Fernsehen auf der Couch lag oder ihr erzählte, wie mein Tag gewesen war. Ich konnte mit Rosalinda über alles sprechen, egal, wie abstrus es sich anhörte.
Kurz: Sie hatte sämtliche Attribute, um mich unendlich glücklich zu machen.
Und genau das versuchte ich Ron, meinem besten Freund, vor einigen Tagen zu erklären.
Nach einem Saufgelage - Ron hatte seinen Kummer über einen Ehekrach mit Uta in Alkohol ertränkt - nahm ich ihn mit und überließ ihm meine Couch als Nachtlager.
Ich selbst ging sehnsuchtsvoll ins Schlafzimmer und da lag sie, meine Rosalinda. Wortlos kroch ich zu ihr unter die Decke. Ich streichelte sie überall, bekam nicht genug von diesem makellosen Körper. Meine Hände glitten über sie, ergötzten sich an ihr, ertasteten jeden vertrauten Zentimeter, selbst die kleinsten Unebenheiten.
Würde ich von einem Tag auf den anderen erblinden, ich könnte Rosalinda mit meinen Fingerspitzen erkennen und ihr Bild vor meinem geistigen Auge erstehen lassen.
Oder ihr Duft! Er war unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt und wehte durch dir ganze Wohnung: ein leichter Hauch von Pinienöl.
Ich zog sie enger an mich. Genussvoll knabberte ich an ihr, stöhnte und war gerade leidenschaftlich bei der Sache, als die Tür aufgerissen wurde und ein Lichtstrahl auf das Bett fiel.
Mitten in der Hüftbewegung hielt ich inne.
Was Ron wollte, erfuhr ich nie. Jedenfalls stand er plötzlich im Rahmen und gaffte. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst, stattdessen sprang ich aus dem Bett und rief: „Darf ich vorstellen? Das ist Rosalinda!“
„Ba… “, stammelte Ron. „Bassgeige. Das …“
„Sie!“ korrigierte ich ihn.
Er nickte ein paar Mal, als könnte er so seine Gedanken sortieren.
„Also gut, Freddy. Sie ist eine Bassgeige.“
„Ich weiß, dass sie eine Bassgeige ist. Eine wunderschöne sogar, nicht wahr?“ Es missfiel mir, dass Rosalinda so entblößt Rons Blicken preisgegeben war. Ich ging hin und zog die Bettdecke bis zu ihrer Taille hoch.
„Außerdem liebe ich sie!“ Mit diesen Worten schlüpfte ich in meinen Morgenmantel.
„Das habe ich gesehen.“ Ron stand da, als hinge er an Fäden. Wie eine Marionette schwankte er leicht vor und zurück, was ich auf den Promillegehalt in seinem Blut zurückführte.
„Sag mal, Freddy, bist du, ich meine, was ich fragen will, ist Folgendes … Also … sie … ich … du … bist du pervers?“
Ich mochte es nicht, dass er so vor Rosalinda sprach, denn sie war eine sensible Bassgeige und so rüde Töne nicht gewöhnt. Deshalb zerrte ich ihn ins Wohnzimmer.
„Seltsam, ungewöhnlich – ja! Pervers? Nein, ich bin kein bisschen pervers, und um eines klarzustellen: Ich leide weder, noch wünsche ich eine Behandlung durch irgendeinen Seelenklempner, ist das klar?“
„Iss klar.“ Er blinzelte ein paar Mal verwirrt. „Was, in Gottes Namen, ist mit dir los?“
Ich stand auf, kramte eine Blatt aus meiner Schreibtischschublade und legte es vor ihn hin.
„Genau das Gleiche habe ich mich auch gefragt. Ich wollte wissen, was in Gottes Namen, mit mir los ist!“ Ich setzte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. „Ob es noch andere Menschen wie mich gibt. Also googelte ich und es dauerte nicht lange, bis ich eine Antwort fand. Die kürzeste liegt vor dir. Lies.“ ...- Erscheint im Beo Verlag