Mir stink`s!
© Sabine Ludwigs
Mein Sohn ist elf Jahre alt und macht sich zu viel Gedanken um unsere Umwelt!
An diesem Morgen, es war Dienstag, der 08.02.05, etwa 7.40 Uhr, meckerte er aber nicht über den wild abgeladenen Müll in unserem Wäldchen. Er sagte nur zwei Worte, als wir vor die Haustür traten: „Faule Eier!“
„Ich glaube, das ist Schwefel,“ korrigierte ich freundlich und zog ihm seinen Rolli über die Nase. Wir fanden den Gestank, der uns entgegenwehte, höllisch!
Bevor er in die Schule floh, musste ich einen heiligen Eid leisten, dass ich mich bei der Stadt über den üblen Geruch beschwere.
Ich versprach es, flach und durch den Mund atmend, damit ich die Luft nicht durch die Nase ziehen und riechen musste.
Die Bewohner unseres Wohngebietes (Kupferstraße, Buchenweg, Buchenberg) sind an regelmäßige Geruchsbelästigungen gewöhnt. Sie verdächtigen häufig zunächst ihr Riechorgan der Fehlfunktion, oder schreiben leichte Stinkerei ihrer Einbildungskraft zu. Dann dem Nachbarn.
Es kommt auch vor, dass sie nach einem Spaziergang ihr Schuhwerk inspizieren, um sicherzustellen, dass sie nicht in Hunde....
An nicht geruchsfreien Tagen fragen wir die Mitmenschen unseres näheren Umfeldes nur zögerlich: „Riechst du das auch?“
Die Erleichterung ist groß, wenn der Gegenüber mit dem Kopf nickt, und man setzt sogleich nach: „Glaubst du, das ist irgendwie gefährlich?“
„`türlich nicht!“
Gut! Ein Grund mehr, als gehorsamer Michel nicht bei jedem üblen Düftchen bei der Stadt anzurufen, um sich zu beklagen. Diese ganze Schwarzmalerei hängt einem doch zum Halse heraus. Außerdem könnte man dadurch Arbeitsplätze gefährden. Oder?
Diesmal jedoch war ich nicht nur durch einen Schwur gebunden, sondern es stank auch so dermaßen, dass mir übel wurde.
Ich rief bei der Stadt Lünen an. Der freundliche Herr reagierte sehr interessiert und höflich, verwies mich gleichzeitig an das Umweltamt in Arnsberg und nannte mir die entsprechende Telefonnummer.
Auch dort machte ich Meldung über den Gestank, zumal meine Augen anfingen leicht zu brennen - aber ich bin ein sehr fantasievoller Mensch: Es mochte hysterische Einbildung sein.
Im Laufe des Dienstages verbesserte sich die Atmosphäre. Daher konnte ich wieder durch die Nase atmen und schmecken, dass ich zum Mittagessen Spinat und Kartoffelpüree zu mir nahm.
Aber am Abend, es war zwischen 19.00 und 19.30 Uhr, ging es wieder los. Der Gestank drang durch jede Ritze und die geschlossenen Fenster ins Haus.
Ich rannte zum Telefon.
Zählt man die Bandansage nicht mit, ging bei der Stadt keiner an den Apparat.
`türlich nicht. Um die Zeit war Feierabend.
Bei meinem Anruf beim Staatlichen Umweltamt in Arnsberg gab man mir eine Essener-Telefonnummer, die ich anwählen sollte. Für Notfälle.
Hm. War das ein Notfall?
Ehe ich danach fragen konnte und womöglich die Antwort erhielt: „`türlich nicht!“, wurde auf der anderen Seite aufgelegt.
In der Essener `Notfallzentrale` teilte man mir höflich mit, dass binnen kürzester Zeit der zuständige Mitarbeiter zurückrufen würde.
Das geschah auch, und mehr noch: Man versprach mir freundlich, mich zu informieren, wer Verursacher der dicken Luft sei und was es damit sich auf sich habe.
Mein Mann nahm am Mittwoch morgen das Telefonat entgegen, in dem man uns in Kenntnis setzte, dass der Verursacher ermittelt wäre.
Die Firma habe kompostiert, dabei wäre eine Sprühanlage ausgefallen, weil ein Rohr eingefroren sei. Deshalb seien Faulgase entwichen.
„Ach ja. Und, ist das gefährlich?“
„`türlich nicht!“
Wir verdrängten die Gedanken, dass weder unsere Bio-Tonne noch unser Komposthaufen nach Schwefel stanken.
Die dicke Luft verzog sich nicht, verdünnte sich jedoch und breitete ihre Schwaden weiter über Lünen. Freitag morgen las ich beim Frühstück in der Zeitung, dass offensichtlich nicht die Kälte Schuld an dem Gestank war, sondern die Wärme!
Kein Wort über ein eingefrorenes Rohr. Vielmehr lautete die Erklärung, dass man Boden abtrug, der `ausgasen´ musste, und der dann zu einer Deponie (!) gebracht werden sollte.
Leider fand man bei der Abtragung unvorhergesehen organische Stoffe, die zwar einen fauligen aber ungiftigen Geruch verbreiteten.
Und das, obwohl man schon wohlweislich die kalte Jahreszeit für diese Arbeiten wählte. Doch -leider, leider - konnte man nicht damit rechnen, dass es plötzlich zu warm für dieses Vorhaben werden würde. Ab Freitag, um die Mittagszeit, wäre es mit dem Gestank vorbei.
Und das alles ohne Genehmigung des Staatlichen Umweltamtes?
`türlich nicht!
Die Bodenabtragung sei mit dem Staatlichen Umweltamt abgesprochen und von diesem genehmigt worden, stand da zu lesen.
Gefahr für den Bürger?
´türlich nicht!
Ungiftige Stoffe, auch, wenn es giftig roch.
Ich war beruhigt, und trank noch eine Tasse Kaffe.
Alles bestens!
Gott sei Dank hatte ein helles Köpfchen bemerkt, dass nicht ein eiskaltes Rohr, sondern die warme Witterung für die üblen Schwaden Verantwortung trug.
Kein Kompost, bloß Erdboden, der mit etwas behaftet war, das unbedingt ausgasen musste, bevor es auf der Müllhalde landete.
Bestimmt waren die Mitarbeiter des Umweltamtes, die über dieses Arbeiten unterrichtet waren, gerade nicht anwesend, als ich anrief.
Sonst wäre ich sicher sofort am Telefon über die Umstände aufgeklärt worden und man hätte nicht extra einen Trupp losgeschickt um zu prüfen, wer oder was da zum Himmel stank.
Spätestens ab heute Mittag wird es nicht mehr miefen, wie das Unternehmen in der Zeitung verkündete.
Und wenn doch?
Dann könnte ich in drei Tagen – am Montag – bei der Stadt anrufen. Prima!
Ich konnte sicher sein, dass ich nichts Gefährliches einatme.
Wie albern ich doch war, dass ich auf dem Trödelmarkt drei ABC-Masken aus dem zweiten Weltkrieg erstanden hatte! Nun war mir das richtig peinlich.
Die Gase wirkten sich bestimmt nicht nachteilig auf meinen Organismus aus, ob ich sie nun riechen konnte – oder nicht. Weder kurzfristig, noch langfristig.
Kopfweh, Übelkeit, Augenreizungen? Waren sie tatsächlich aufgetreten?
Bestimmt ein Virus. Hoffentlich nicht die asiatische Vogelgrippe?!
Mensch, können die ihre miesen Krankheitserreger nicht bei sich behalten?
Den Kollegen habe ich mit Sicherheit angesteckt. Er litt unter den gleichen Symptomen wie ich.
Auch die Frau mit dem Hund, die am Dienstag – mit dem Schal vor Mund und Nase – aus unserem Wäldchen rannte, ist mir wahrscheinlich zu nahe gekommen.
Wo gast der Mief der mysteriösen, organischen Stoffe eigentlich hin? Außer in unser Haus, meine ich.
Einfach so in die Luft? Darf er das? Ohne Filter?
Ausgasen für die Schutthalde.
Gas ... hm, vielleicht handelte es sich bei den organischen Stoffen um Rückstände eines geheimen Massengrabes, in dem Menschen verscharrt lagen, die pestilenzialische Luft eingeatmet hatten.
Oder sich Gedanken machten und unbequeme Frage stellten. Täglich ist in der Zeitung zu lesen, dass Leute verschwinden und nie wieder auftauchen.
Ob ich das alles wirklich glaube?
`türlich nicht! ;-)
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