Nachtschwärmer © Sabine Ludwigs
Ich war vom ersten Augenblick an vernarrt in Luisa. Wir haben nie drüber gesprochen, aber ich weiß, dass es ihr genauso ging. Das erste Mal begegneten wir uns im Hausflur. Das war bei meinem Einzug. Ich trug einen Umzugskarton, stand vor meiner Wohnungstür und versuchte den Schlüssel herumzudrehen - da wirbelte sie herein: Dunkle Mähne, rote Bluse und ein schwarzer Rock, der knapp über den Knien endete. Wohlgeformte Beine und nackte Füße in hochhackigen Sandalen. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke. Als ich sah, wie ihre Augen strahlten wusste ich: Auch ihre Bauchmuskeln zogen sich zusammen und sie hatte Mühe zu atmen. „Hallo!“, grüßte sie. „Sie sind wohl der neue Nachbar? Lassen Sie mich das machen!“ Schon drehte sie meinen Haustürschlüssel herum und stieß die Tür auf. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ Ich weiß nicht, wie vielen Frauen ich täglich hinter dem Postschalter zulächelte, ohne darüber nachzudenken, aber bei Luisa war es anders. Sicher lag es an der knisternden Spannung, die von Anfang zwischen uns herrschte. Ich wollte nicht, dass sie einen falschen Eindruck von mir bekam und womöglich dachte, dass ich gleich mit jeder flirte oder ihr in den Ausschnitt schiele, nur weil ein Knopf zu viel geöffnet war und man eine zarte Wölbung erkennen konnte. Deswegen murmelte ich nur einen Dank. Gut, ich riskierte noch einen Blick aus den Augenwinkeln, registrierte, wie sie sich mit der Linken durchs Haar fuhr und es herausfordernd zerzauste als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete. Sie reizte mich, in dem sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, während sie mit ausdrucksloser Miene die Unbeteiligte spielte. Dann lächelte sie mich noch einmal anzüglich an, bevor sie in der Wohnung neben meiner verschwand.
Luisa Schreiber stand auf dem Namensschild.....
Dieser Text ist in der Anthologie „Mordlust“ zu lesen! - ISBN 3-9809868-1-5
www.storia - verlag.de
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